Liebe Freunde, Beter und Unterstützer!
Seit langer Zeit schreiben wir Euch wieder einen Brief, der sowohl über den Postweg als auch per Mail versendet wird. Wir hatten uns in dieser schnelllebigen Zeit dazu entschieden, Euch die aktuellen Nachrichten aus der Ukraine per Mail, als WhatsApp-Nachricht oder im Videoformat als Kriegstagebuchvideo zur Verfügung zu stellen. Wer diese Form der tagesaktuellen Nachrichten gerne erhalten möchte, schreibt uns bitte unter kontakt@nehemia-freundeskreis.org an.
Natürlich waren unsere vergangenen Monate gekennzeichnet von diesem vollkommen sinnlosen Krieg! Neben den Flüchtlingen, die wir immer wieder aufgenommen haben, mussten wir uns auch auf die ständigen Veränderungen im Alltag einstellen. Zu Beginn des Krieges äußerte sich dies in Form von Engpässen bei Lebensmitteln, v.a. Zutaten für die Bäckerei sowie von Kraftstoffen. Aktuell bereiten uns die immer wiederkehrenden Stromabschaltungen große Probleme, die unseren Lebensrhythmus bestimmen. Schnell wird einem bewusst, dass ohne Elektrizität auf einmal alles stehen bleibt. Auf unserer Basis heißt es dann für alle: kein Wasser, keine Heizung, kein Licht und keine Möglichkeit, etwas zu kochen. Mit Hilfe unserer Notstromversorgung können wir aber immer wieder das Nötigste abdecken. Unter den Stromschwankungen leiden vor allem die technischen Geräte und selbst bei einfachen Anlagen treten zunehmend Reparaturen auf.
Unser Gäste- und Flüchtlingshaus
Im Moment leben noch drei Menschen aus dem unmittelbaren Kriegsgebiet bei uns. Alle drei Flüchtlinge sind über siebzig Jahre alt und ohne große Perspektive jemals in die alte Heimat zurückkehren zu können. Insgesamt nahmen wir seit Februar über 120 Personen bei uns auf. Etliche sind schon wieder in ihre Wohnungen und Häuser zurückgekehrt, andere haben hier in der unmittelbaren Umgebung kleine Häuser gekauft und sich niedergelassen.
Natürlich ist es immer wieder für uns eine gewisse Herausforderung, mit völlig fremden Menschen in einem Haus zu wohnen. Wir lernten aber schnell dazu und haben einen privaten Bereich für uns als Rückzugsraum abgetrennt. Während der Zeit ohne Elektrizität helfen wir uns mit einem Beistellherd aus. Dieser ermöglicht uns Mahlzeiten zuzubereiten und sogar zu backen. Der Ofen hat einen überdachten Platz, gleich neben unserem Feuerholz gefunden und uns in den letzten Wochen schon wohlschmeckende Dienste geleistet.
Interessant ist es für uns auch, wie die Menschen mit dieser Situation umgehen. Am schlimmsten hat es unsere Mama Sveta getroffen. Sie versteht die Welt nicht mehr und hatte sich eigentlich entschieden zu sterben. Mit der Befreiung von Cherson hat sie wieder neuen Lebensmut gefasst und nun plant sie schon mal bis zum Jahresende. Sveta stammt selbst aus Weißrussland und wie bei vielen anderen hier im Land, verteilt sich die gesamte Verwandtschaft über die ehemalige Sowjetunion.
Bäckerei und unsere Kriegsbrotaktion
Mit Beginn des Krieges hatten wir als Verein die Aktion „Kriegsbrot“ gestartet. Wir haben den Verkaufspreis von Roggenmischbrot um 60 Prozent (0,22 Euro pro Stück) reduziert. So können sich auch viele der ärmeren Menschen ein Brot leisten. Zusätzlich backen wir für Alleinstehende kleinere 250 Gramm Brote, die ebenfalls um 60 Prozent reduziert sind. Nach großen Personalproblemen hat sich jetzt gerade eine gute Mannschaft in der Bäckerei gefunden. Neben dem Backhandwerk müssen die Bäcker auch die Bedienung des Notstromaggregates beherrschen. Dies gehört leider zur täglichen Routine. Eigentlich wäre es vernünftiger, den Backbetrieb einzustellen. Aber wir sehen jeden Tag die vielen Menschen, welche auf unser Brot und speziell auf das Kriegsbrot warten! Diese Tatsache gibt uns immer wieder neuen Mut und Antrieb, auch an dieser Stelle weiterzumachen.
Einen unserer Verkaufsstände müssen wir im nächsten Monat umsetzen. Der alte Mietvertrag für die Stellfläche ist abgelaufen und einen neuen gibt es für diese Stelle nicht. Dort sollen zukünftig Parkplätze entstehen. Wir hoffen, dass wir nach dem Umzug einen mindestens vergleichbaren Umsatz an der neuen Verkaufsstelle haben werden.
Unsere Unterstützungen für das Kinderheim und das Rehabilitationszentrum gehen natürlich auch in dieser Zeit weiter.
Die christliche Schule in Slowjansk
Unsere Freunde aus den Ostgebieten um Slowjansk waren alle auf der Flucht vor den vorrückenden russischen Truppen. Seitdem sich die Lage dort einigermaßen stabilisiert hat, beginnen viele „Rückkehrer“ mit dem Wiederaufbau. Die christliche Schule in Slowjansk trotzte bis jetzt allem Raketenbeschuss – sie hielt nicht nur stand, sondern ist auch unbeschädigt! Der Schulbetrieb wurde aus Sicherheitsgründen allerdings eingestellt. Die Planungen für den Neustart liegen im nächsten Jahr – je nach aktueller Kriegslage. Der neue Schulbeginn ist für Pastor Peter eine große Aufgabe. Er ist herausgefordert, notwendiges Schulpersonal mit aufrichtigem Herzen und einer richtigen Einstellung zu finden. Die christliche Trägergemeinde ist wieder genauso groß wie vor dem Krieg, wenngleich sie auch zu großen Teilen aus „neuen“ Personen besteht. Die alte Gemeinde lebt nun in ganz Europa verstreut.
Persönliches und Weihnachtsaktion 2022
Wir haben uns dazu entschieden, dieses Jahr auf eine Weihnachtsaktion zugunsten des Kriegsbrotes zu verzichten. Zum einen sind die Spenden derzeit ausreichend, um das Kriegsbrot weiter backen zu können. Hinzu kommt, dass wir momentan nicht in der Lage sind, noch eine weitere Aktion zu starten und durchzuführen. Aufgrund der langanhaltenden Kriegssituation sind wir an einer persönlichen Leistungsgrenze angekommen. Daher sehen wir es als unsere Priorität, die notwendigen Aufgaben, alle anfallenden Arbeiten auf der Basis und die bestehende Aktion zu fokussieren.
Diese Entscheidung gibt uns auch einen kleinen Spielraum, mithilfe der Spenden ganz spontan einzelne Notlagen zu lindern und punktuell dort zu helfen, wo die Not am größten ist.
Lange Zeit war die größte Herausforderung die immerwährenden Sirenen, die vor Raketenbeschuss warnen und das öffentliche Leben zum Erliegen brachten. Bei Luftalarm schlossen alle großen Verkaufsstellen, Banken, Behörden und Tankstellen oft für mehrere Stunden. Derzeit erschweren die plötzlichen Stromabschaltungen das Leben auf der Basis und den Arbeitsablauf extrem. Dieser Zustand stellt v.a. in der Bäckerei ein großes Problem dar. Wenn während des Backbetriebes bei über 200 Grad die Lüfterwellen aufgrund des Stromausfalls zum Stehen kommen, muss ganz schnell gehandelt werden, ansonsten verziehen sich die Wellen und der Ofen kann nicht mehr weiter betrieben werden.
Wir selbst entschieden bei Kriegsausbruch so lange wie möglich hier vor Ort in der Ukraine zu bleiben. Es war in den ersten Wochen nicht absehbar, wie sich der Krieg entwickelt. Zu Beginn bin ich zwei Mal in der Nacht aufgestanden, um den Frontverlauf im Internet zu kontrollieren. Heute kommt es vor, dass ich zwei Mal nachts aufstehe, weil der Strom wieder ausgefallen ist. Wir halten uns weiterhin an die getroffene Abmachung, dass wir die Basis erst verlassen und unsere gepackten Koffer nehmen, wenn die Russen in Krementschuk den Dnipro passieren.
Voller Unverständnis haben wir unter der Tatsache gelitten, dass so viele unserer Freunde, Pastoren und Geschäftsleute als eine der Ersten ihr Land verließen. Mit ein wenig Abstand wissen wir, dass jeder Mensch eigene Entscheidungen trifft und die Konsequenzen verantworten muss.
Wir sind sehr dankbar für alle Unterstützung und jedes Gebet. Besonders berührend und überwältigend war die Anteilnahme in den ersten Kriegswochen! Die Beständigkeit, mit der uns so viele Freunde hier weiter unterstützen, gibt uns immer wieder neuen Mut, unseren Weg weiterzugehen.
Wir sagen euch ein ganz herzliches Dankeschön im Namen der vielen Menschen! Vielen Dank für alle Hilfe und Unterstützung!
Wir wünschen Euch und Euren Familien eine gesegnete Adventszeit und ein ganz besonderes Christfest!
Mit lieben Grüßen aus Protopopovka!
Achim und Gabriele
PS: Wir sind über die hohe Spendenbereitschaft, besonders schon zu Kriegsbeginn, sehr dankbar und es ermöglichte uns bisher, all die Unterstützung für die notleidenden Menschen zu geben!
Damit wir am Jahresende die Spendenbescheinigungen verschicken können, bitten wir Euch um die Übermittlung eurer Anschrift, falls ihr es noch nicht getan habt, bzw. auf der Überweisung nicht zusätzlich eure Adresse angegeben hattet. Die Bank übermittelt uns leider nur euren Namen. Gern könnt ihr das unter der Mailadresse: d.werner@nehemia-freundeskreis.org oder der Telefonnummer 037431 86788 tun. Vielen Dank!
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